Ich möchte diesen Thread mal aus der Versenkung holen, um meine Erfahrungen beizutragen. Vielleicht gibt es ja jetzt den erwarteten Flamewar... 🍿
Mit Orchideen angefangen habe ich noch zu Schulzeiten. Das dürfte so im Jahr 2000 oder 1-2 Jahre früher gewesen sein. Damals waren es noch ausschließlich Baumarktpflanzen in normalem Rindensubstrat. Die weite Welt der Naturformen entdeckte ich dann während des Studiums ab ca. 2006 durch meinen damaligen WG-Mitbewohner, den ich erfolgreich angefixt habe. Auch da sollte mein Bestand noch lange in gewöhnlichem Rindensubstrat stehen.
Im Grunde kam ich mit dem Substrat gut klar und mir kam es gar nicht in den Sinn, mit etwas anderem rumzuexperimentieren - oder dass es überhaupt Alternativen geben könnte. Meine Pflanzen standen alle in Übertöpfen und ich goss einfach mit der Gießkanne nach Gefühl Wasser über das Substrat. Dass man so nicht wirklich mitbekommt, was sich im Topf abspielt und ob die Pflanze womöglich tief im Wasser steht, liegt auf der Hand. Ich lebte mit dem Risiko, und erlebte dementsprechend hin und wieder so meine (negative) Überraschung... Zudem hatte ich auch regelmäßig das umgekehrte Problem, dass das Substrat mal zu sehr abgetrocknet ist und ich Schwierigkeiten hatte, es wieder im richtigen Maße angefeuchtet zu bekommen. Entweder wollte es lange kein Wasser annehmen, wodurch die Pflanze natürlich unter Durst litt, oder aber es sog sich derart mit Wasser voll, dass es zu lange gar nicht richtig abtrocknen wollte, wodurch mir die Wurzeln wegfaulten... Es war ein schwieriger Spagat...
Seinerzeit bei Ingrid im Forum las ich, dass einige Leute ihre Pflanzen in Eimern tunken. Also probierte ich das aus. Naja, was soll ich sagen, es war sehr aufwendig... Zwar hatte ich ganz brauchbare Erfolge, aber es war mir dauerhaft einfach zu umständlich, also ging ich nach 1-2 Jahren wieder zu meinem vorherigen Gießverhalten über. Mit den zugehörigen Überraschungen ab und an...
Dann kamen 2013 der Umzug in unsere jetzige Wohnung, ein Praktikum im Ausland für ein halbes Jahr, während dem mein Lebensgefährte meine Pflanzen pflegen musste, und schließlich der erste Job. In dieser Zeit ging mir leider ziemlich viel über die Wupper: Insbesondere wurde die Umstellung auf die hiesigen (schlechteren) Lichtbedingungen vielen Pflanzen zum Verhängnis. Meinem Lebensgefährten gingen ebenfalls in meiner Abwesenheit ein paar Pflanzen ein, was ich ihm unter den gegebenen Voraussetzungen nicht zum Vorwurf machen will. Und durch die Arbeit, die mit einer sehr weiten Pendelei verbunden war, fehlte mir am Ende des Tages einfach die Zeit und Energie für meine Pflanzen.
Die Rückschläge deprimierten mich ziemlich, was meiner Fürsorglichkeit nicht gerade förmlich war. Die fehlende Zeit und Energie machten es nicht besser... Das ganze gab auf Dauer eine Art Teufelskreis, bei dem mir meine Pflanzen abwechselnd vertrockneten und ersoffen, was natürlich zu weiteren Ausfällen führte. Zwar war ich schlau genug, einen großen Teil meines Pflanzenbestandes aus den Übertöpfen zu nehmen und in Untersetzer zu stellen, damit ich besser sehen konnte, was im Topf passiert, aber unter dem Strich brachte diese Umstellung nicht übermäßig viel Erfolg.
Dann kam das Burnout, in dem die Pflanzen hauptsächlich vertrockneten...
Cut. So viel zur Vorgeschichte.
Als ich dann letztes Jahr mein Hobby wieder aufleben ließ und meine ersten neuen Pflanzen von der Ausstellung in Merzig mitbrachte, war mir direkt klar, dass ich auf keinen Fall wieder in alte Muster verfallen wollte. Insbesondere musste ich eine Möglichkeit finden, wie ich die Pflanzen gleichmäßig anfeuchten und feucht halten, und gleichzeitig problemlos wieder abtrocknen lassen konnte. Ich musste also endlich ein Gleichgewicht finden, das ich auch auf Dauer halten konnte.
Dabei kam mir natürlich direkt Seramis in den Sinn. Allerdings hatte ich damit als Substrat bisher noch keinerlei Erfahrung; ich hatte es bisher nur als Einstreu für meine Terrarien verwendet. Entsprechend überlegte ich einige Tage lang krampfhaft hin und her und zögerte, ob ich das Risiko eines Versuches tatsächlich wagen sollte. Aber es nutzte nichts. Ich drehte mich immer wieder im Kreis und kam zu dem selben Schluss, dass Seramis bei richtiger Verwendung deutlich besser funktionieren dürfte und ich definitiv einen Versuch wagen sollte. Also ging ich es an.
Meine Versuchskaninchen waren die neu angeschafften Pflanzen aus Merzig:
- 2 kräftige Jungpflanzen Phal. Orchid World 'Bonnie Vasquez'
- 2 kleine Jungpflanzen Phal doweryensis
- 1 Jungpflanze Ren monachica
Zwar hatte ich mir auch noch eine namenlose Phal-Multihybride mitgebracht, aber da diese an mehreren Trieben in voller Blüte stand, wollte ich sie erst einmal nicht anrühren.
Ich nahm die Pflanzen also aus ihrem alten Substrat und setzte sie in frische durchsichtige Töpfe, wobei ich rein nach Bauchgefühl grobe Pinienrinde verwendete und die Hohlräume mit Seramis auffüllte. Natürlich achtete ich dabei darauf, dass das Gemisch halbwegs luftig blieb. Die fertigen Töpfe kamen dann auf Untersetzer und wurden so auf die Fensterbank gestellt. Fertig. Ich beobachtete gespannt.
Wie ihr euch sicher denken könnt, mussts ich mit dem neuen Substratgemisch auch erst mal meine Erfahrungen sammeln. Ich goss wie früher mit der Gießkanne von oben auf das Substrat. Da ich noch das reine Rindensubstrat gewohnt war, neigte ich dabei erst einmal dazu, zu viel zu gießen, um eine Art Wasservorrat in den Untersetzern zu schaffen. Aber so blieb es für die Pflanzen zu lange zu feucht. Die Renanthera-JP warf nach einiger Zeit alle Blätter von sich und damit das Handtuch. Das war der erste Rückschlag und gab mir zu denken. Trotzdem sah ich mein Experiment nicht als gescheitert an, schließlich sahen die Phals weiterhin ziemlich gut aus.
Zunächst goss ich erst mal nur mit Leitungswasser, da meine bisherige Osmoseanlage schon uralt war und zudem zu lange stillgelegt war, weshalb ich ihrer Wasserqualität nicht mehr traute. Darüber hinaus ist unser Leitungswasser hier mit knapp 400 µS ganz passabel, so dass ich es bedenlenlos bis zum Eintreffen der neuen Anlage verwenden konnte. Ab März dieses Jahres nahm ich dann die neue Anlage in Betrieb und düngte mit Dünger von O+M auf. Zudem schaffte ich mir einen neuen 5l-Pumpsprüher an, mit dem ich punktgenauer auf das Substrat sprühen könnte; mein bisheriger Pumpsprüher war schon lange kaputt.
Die Pflanzen hielten sich weiterhin ganz gut und ich fand wieder Spaß daran, täglich mehrfach um meine Pflanzen zu tänzeln und mir die Entwicklungen anzusehen. Dieser Spaß war mir lange verloren gegangen und ich hatte mich vielmehr gescheut, mir das Elend genauer anzusehen...
Mein Bestand begann, wieder stetig zu wachsen. Zwischendurch, als erstmals deutlich wärmere Temperaturen einsetzen, verpasste ich allerdings zwischenzeitlich kurz den Anschluss und ich fiel kurzzeitig wieder in mein altes Muster zurück, nicht mehr zu gießen und das Ansehen der Pflanzen zu scheuen. Ich schaffte es aber, den Teufelskreis zu durchbrechen - nicht zuletzt auch deshalb, weil das Seramis lange Trockenheit problemlos verzeiht und sich direkt wieder ohne weiteres gleichmäßig anfeuchten lässt. Das war für mich ein ziemliches Aha-Erlebnis, muss ich sagen! Ich war wirklich richtig begeistert. Entsprechend richtete ich also wieder meine Krone, sortierte die eingegangenen Jungpflanzen aus und ersetzte sie durch neue - und machte weiter.
Und was soll ich sagen? Ich bin inzwischen überaus begeistert von diesem Substrat. Natürlich gab es hier und da das eine oder andere Knirschen im Getriebe. Wie gesagt gaben hin und wieder ein paar JPen auf, was ich allerdings als normale Ausfälle verbuchte, auch zickte eine der zwei Bonnie Vasquez vorübergehend etwas herum, bis ich sie nochmals frisch topfte. Inzwischen hat sich aber alles hervorragend eingependelt und ich könnte mich fast schon ärgern, nicht früher den Versuch gewagt zu haben. Aber es ist, wie es ist, und ich bin ausgesprochen begeistert.
Was ich für mich schon mal als Quintessenz mitnehmen kann:
- Orchideen immer in durchsichtige Töpfe und Untersetzer, dann sehe ich besser, was Sache ist
- Töpfe nie zu groß wählen, sondern möglichst klein
- das Substrat nie zu viel gießen: immer nur so viel, bis unten erste Tropfen im Untersetzer zu sehen sind, und niemals mehr
- das Substrat zwischendurch immer leicht antrocknen lassen - das erkennt man prima an der Farbe, Wasserstandsanzeiger sind absolut überflüssig
- das Substratgemisch immer auf die jeweilige Pflanze abstimmen: bei den einen gröbere Pinienrinde, eventuell einige Blähtonkügelchen und dafür weniger Seramis; bei den anderen feinere Rinde und mehr Seramis; manche in reines Seramis; manche wollen weiterhin überhaupt kein Substrat egal welcher Art
- morgens vor dem Verlassen des Hauses wird grundsätzlich kontrolliert und bei Bedarf gegossen, allein schon weil ich inzwischen ein neues Terrarium mit aufgebundenen Pflanzen habe, die täglich versorgt werden müssen
Mit dieser Faustregel bin ich bisher sehr gut gefahren und die Ergebnisse sprechen, denke ich, für sich:
Zugegeben: Es ist noch keine richtige Langzeiterfahrung, aber ich bin angesichts des aktuellen Standes absolut zuversichtlich und kann gerne weiter berichten. Außerdem musst ich last but not least meinen Vorrednern beipflichten: Seramis ist natürlich nicht das Allheilmittel und jeder muss für sich selbst herausfinden, was unter seinen jeweiligen Standortbedingungen am besten funktioniert.
Und auch an dieser Stelle nochmals:
Sorry for the long post, here's a potato: